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eSport: Girls Gone Wild oder Boys Club Only?

Ansätze und Möglichkeiten für einen inklusiveren eSport

Wer spielt?

Digitale Spiele dominieren zunehmend unsere Kultur. Dabei bleibt das Image männlich dominiert, obwohl ein großer Anteil von Spielerinnen belegt ist.[i] Einzelne Studien verweisen auf geschlechtstypische Unterschiede im Nutzungsverhalten – insbesondere im Bereich der investierten Zeit und den präferierten Spielgenres. Dabei sind zwar die meisten Frauen* überwiegend „friedfertige Solo-Spielerinnen“[ii] es gibt jedoch auch kontaktfreudige oder kompetitiv orientierte Frauen*[iii], die spielen.

Dies ist besonders bemerkenswert, weil sich der kompetitive Bereich des digitalen Spielens als elektronischer Sport (eSport) zunehmend professionalisiert. Große Marken unterstützen ganze Teams und vor internationalem Publikum werden Millionenbeträge als Gewinne ausgezahlt. Dieses noch relative unerforschte Feld zeigt jedoch schon bei ersten Betrachtungen auf, wie männlich dominiert es geblieben ist: Zuschauer*innen, professionelle Spieler*innen und Content Producer sind vor allem weiße und als heterosexuell und männlich gelesene Personen[iv].

Dabei könnte eSport diskriminierungsärmer als andere Sportarten sein, theoretisch bietet es eine gleichartigere Möglichkeit, nur nach der eigenen Leistung und dem Engagement beurteilt zu werden und nicht nach dem Aussehen oder der Herkunft. Die Realität sieht jedoch völlig anders aus: Denn wie jede andere Szene hat auch die Gaming Community diskriminierende Schließungsmechanismen gegenüber Neulingen. Insbesondere Frauen* sind oft betroffen von sexuellen Belästigungen in der Szene. Dieser Artikel möchte nicht nur erörtern woran das liegt, sondern auch fragen ob eine Segregation der Szene dabei helfen könnte, inklusiver zu werden.

Wer spielt warum?

Geschlecht ist keine essentialistische, unveränderbare oder gar natürliche Gegebenheit, sondern ein soziales Konstrukt und verankert in sozialer Praxis. Kinder werden der Zweigeschlechtlichkeit entsprechend sozialisiert und passen ihre Selbstinszenierungen als Mädchen oder Junge demensprechend an: nicht nur durch Kleidung, sondern vor allem das Verhalten.[v] Das zugeschriebene Geschlecht ist bei der Wahl von Freizeitaktivitäten (wie digitalen Spielen) stark prägend, weil es sich hierbei auf ein identitätsprägendes Spannungsfeld von externer Kontrolle und internen Selbstbeschränkung handelt. Innerhalb eines Erwartungs-Verhaltens-Zirkel stabilisieren sich geschlechtstypische Erwartungen und geschlechtstypisches Handeln wechselseitig und reproduzieren damit Geschlechterdifferenzen. Dies zeigt sich schon im vergeschlechtlichten Spielzeug von Kleinkindern, das bei Mädchen* kaum Fähigkeiten wie Durchsetzungsvermögen oder Wettbewerbsorientierung fördert, um es platt zu sagen: Mit Puppen spielen bringt eher Empathie bei, Soldatenfiguren kämpferisches Verhalten. So führen Stigmatisierung und Abwehr von Mädchen, die aggressiv schreiend Ego-Shooter spielen oder das Belächeln von Jungen, die Ballett tanzen, bewusst und unbewusst zur (Re-)Installation herrschender Normen und häufig dem Ende eines als unpassend, bzw. „unnatürlich“ empfundenen Hobbies. Die Wirkungen der (oft auch indirekten) Sanktionen des Umfelds bei deviantem Verhalten werden noch dadurch bestärkt, dass es kaum Vorbilder in den Bereichen gibt – die zum Beispiel kompetitives digitales Spielen für Mädchen „normalisieren“ würden.

Die einfach scheinende Lösung „Gleichbehandlung“ im Sinne von „jede*r kann mitmachen“, funktioniert daher im Regelfall nicht, existierende Vorurteile und strukturelle Hindernisse sind einfach zu groß – Förderung ist notwendig, um mehr Wahlfreiheit für alle Menschen zu erreichen.

In der Pädagogik bietet man zum Beispiel Rückzugsräume, in denen sich Mädchen* unter geringerem gesellschaftlichen Druck freier entfalten können.[vi] Diese partielle Geschlechtertrennung kann Perspektiven über die vorgegebenen Rollenerwartungen hinaus ermöglichen, auch wenn es sich dabei um eine – durchaus kritisch zu beurteilende! – künstliche Dramatisierung der sozial konstruierten Kategorie Geschlecht handelt.

Wie wäre das im eSport möglich?

Im eSport ist fast jedes Turnier formell offen für alle Interessierten – falls sie sich qualifizieren. Dennoch finden sich in den meisten Fällen nur Männer auf den Teilnehmendenlisten. Nur einzelne eSport-Turniere werden explizit für Frauen* angeboten. Sie könnten die Möglichkeit bieten, sich jenseits von männlichen Abwertungen miteinander zu messen, ohne dass eine schlechte Leistung als „du bist ja auch nur ein Mädchen“ abgetan werden könnte und böten zudem ein Umfeld, dass zumindest einige Diskriminierungserfahrungen teilt.

Problematisch ist daran, dass durch diese Segregation Geschlecht als zentrales Unterscheidungskriterium dargestellt wird. Implizit könnte es als Botschaft verstanden werden, dass alle Frauen* mehr mit anderen Frauen* gemeinsam hätten, als mit Männern* (was de facto nicht so ist). Dies kann empfindliche Stereotype verschärfen (z.B. das Frauen* immer schlechter spielen als Männer* und darum ihre eigene Liga bräuchten), wenn es nicht angemessen gerahmt wird. Es benötigt eine „Ent-Dramatisierung“ der Geschlechtlichkeit, wo die Ambivalenzen innerhalb einer geschlechtshomogenen Gruppe anerkannt und Gemeinsamkeiten aller Menschen wieder in den Vordergrund gerückt werden. Im eSport wäre das beispielsweise eine Thematisierung von geschlechtsbezogenen Privilegien und Diskriminierungen in der Gaming Community.

In jedem Fall ermöglichen derartige Turniere Vorbilder und Inspiration für Mädchen*, um nicht-konventionelle Freizeitaktivitäten zu wählen. Turniere bieten auch eine mögliche Grundlage für Gespräche über Ungleichheiten und ihre Ursachen, für Unterstützungsmöglichkeiten und Solidarität.

Was gibt es denn schon im eSport?

Alle großen Verbände, Organisationen und Vereine gehen zur Zeit unterschiedlich (teilweise sogar spielabhängig) damit um, ob und wenn ja wie sie Turniere nur für Frauen* anbieten. Unabhängig davon sind Ankündigungen von „female only“ Turnieren im Regelfall Anfeindungen auf verschiedenen Plattformen durch multiple Akteure ausgesetzt.

Gegner dieser Turniere vertreten zum Teil biologistische Argumente, das und es z.B. falsch sei, Frauen zu etwas „unnatürlichem“ motivieren zu wollen.[vii] Biologistisch fundierte Argumentationsauswüchse zeigen sich auch in dem Phänomen, dass immer wieder Partizipierenden unterstellt wird, sie seien gar keine Frauen. Zwei besonders populäre Beispiele dafür sind das aus einer Liga verbannte DOTA2-Team, dass laut Schiedsrichtern/Administratoren „zu gut“ gespielt habe, um tatsächlich nur aus Frauen zu bestehen[viii] – oder auch Foren-Debatten, die dazu führen, dass herausragende Spielerinnen sofort des Betrugs/Cheatings verdächtig werden – zuletzt bei Overwatch prominent sichtbar.[ix]

Andere sprechen von einem vermeintlichen Privileg der Frauen, in der Szene, dass sich daran offenbaren würde. Teilweise wird auch behauptet, die partizipieren Frauen seien ohnehin nur online, um sich Männer zu „angeln“ (hier wird angeschlossen an „fake gamer girl“ und „attention whore“ – Debatten, die sich insbesondere auch bei Debatten um streamende Frauen* zeigen).[x]

Wieder andere meinen, diese Turnieren würden unnötigerweise den Geschlechterdualismus  verschärfen: Schließlich gäbe es keine Turniere nur für Männer und ohnehin könnten alle gleichberechtigt partizipieren. So seien es nur unnötige Privilegien für Frauen*, die Männer nicht hätten. Frauenturniere seien orientiert am Marketing-Aspekt des „sex sells“, wo es ohnehin nicht um die Qualifikation, sondern nur das Aussehen der Frauen aufgrund der Einschaltquoten relevant wäre. Die Marketingfähigkeit (im Sinne optisch dem Mainstream entsprechend) vieler sichtbarer Spielerinnen ist tatsächlich bemerkenswert – wohl auch weil diese tendenziell weniger Hass im Netz ertragen müssen. Dabei sollten nicht nicht die wenigen Frauen, die gesponsort werden, kritisiert werden, sondern das patriarchale System im Hintergrund, das einen derart sexistischen Standard ermöglicht.[xi]

Aber was denn nun tun, wenn viele das schlecht finden?

Turniere nur für Frauen* ermöglichen eine erhöhte Sichtbarkeit. Die Übertragung der Spiele z.B. auf twitch.tv zeigt auf, dass Frauen* kompetitiv und auf hohem Niveau spielen. Gleichzeitig bergen Sie die Gefahr, dass dadurch Vorurteile verstärkt werden. Um das zu umgehen, gibt es einzelne positive Ansätze.

  • Turniere könnten inhaltlich gerahmt werden: Warum ist dieses Turnier auf Frauen* begrenzt? Wofür brauchen wir Inklusion im eSport?
  • Zumindest ein Teil der das Spielgeschehen beschreibenden Menschen („Caster“) könnten Frauen* sein. Das ist selbstverständlich unabhängig vom Turnier her immer zu begrüßen, aber insbesondere in dem Kontext von female*only Turnieren kann die Caster*in dann stellvertretend gamenden Frauen* eine Stimme geben – und gleichzeitig die Professionalität und Fähigkeiten von Frauen* in der Community ganz nebenbei in allen Bereichen demonstrieren.
  • Wichtig ist in jedem Fall eine Moderation des begleitenden Chats (z.B. auf twitch.tv). Deplazierte Urteile über das Aussehen von Spieler*innen haben dort ebenso wenig Platz wie andere Respektlosigkeiten.[xii]
  • Häufig werden Frauen* nach Turnieren interviewt, was ihre Persönlichkeit und Können betont – hier ist es auch möglich zu fragen, warum sie teilgenommen hat, um den Solidaritätsaspekt und die (ja nur sehr partielle) Segregation zu begründen.

Spannend sind auch Initiativen wie das AnyKey-Projekt, dass sich in Kooperation mit der ESL für mehr Inklusion im eSport stark macht.[xiii]

Fazit

Die weit verbreiteten Vorurteile in der Community sind meiner Meinung nach Hinweise darauf, dass eine künstliche Dramatisierung in Form dieser partiellen (!) und vorübergehenden (!) Segregation von Geschlechterfragen im Bereich des eSport nötig ist, um eine grundsätzliche Debatte über Frauenförderung führen zu können – und gleichzeitig an den Ursachen der Differenzen zu arbeiten. Die Segregation der Geschlechter darf dabei nicht die langfristige Lösung, sondern muß ein solidarsicher Zwischenschritt zur Gleichberechtigung sein.

Und letztlich ist es doch nur ein Versuch: Wenn es scheitert und keine Frauen* mitmachen, dann haben wurde zumindest etwas ausprobiert. Wenn es erfolgreich ist und in 5 Jahren so viele Frauen* in der Szene sind, dass es nicht mehr nötig ist, dann können wir wieder dazu übergehen nur eine Segregation nach Regionen vorzunehmen (wie man in StarCraft sagen würden: Süd-Korea gegen den Rest der Welt). Weil auch dort werden Schutzräume aufgebaut für Menschen, die schlechtere Ausgangsbedingungen haben, um eine möglichst breite Teilnahme und Förderung zu garantieren.[xiv]

 

[i] Vgl. Quandt, T. Chen, V., Mäyrä, F. & van Looy, J. (2014). (Multiplayer) Gaming Around the Globe? A Comparison of Gamer Surveys in Four Countries. In: Quandt, T. &Kröger, S. (Ed.): Multiplayer: Social Aspects of Digital Gaming (pp. 23-46). London/New York: Routledge.

[ii] Krause, M. (2011). Weibliche Nutzer von Computerspielen. Differenzierte Betrachtung und Erklärung der Motive und Verhaltensweisen weiblicher Nutzer von Computerspielen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 190.

[iii] Das * wird in diesem Artikel an Geschlechterbeschreibungen angehängt, um zu verdeutlichen, dass es nicht anhand vermeintlicher biologischer Grenzen sortiert wird. Ebenso sind zum Beispiel Trans-Frauen mit gedacht. Mehr Informationen zum Beispiel auf dem trans.gender.trouble-Blog unter https://derstandard.at/2000004719421/Warum-da-so-viele-Sternchen-sind

[iv] Nur weil ein Mensch einem bestimmten Phänotyp entspricht, bedeutet das nicht gleichzeitig, dass sie*er männlich*weiblich ist. Um kein Geschlecht zu unterstellen, kann man erstmal beschreiben, dass jemand männlich wirkt, d.h. als „männlich gelesen“ wird.

[v] Vgl. Gildemeister, R.& Wetterer, A. (1995). Wie Geschlechter gemacht werden. Die soziale Konstruktion der Zwei-Geschlechtlichkeit und ihre Reifizierung in der Frauenforschung. In: Knapp, G.-A. (Ed.): TraditionenBrüche. Entwicklungen feministischer Theorie (S. 201-254). Freiburg i. Br: Kore.

[vi] Vgl. Faulstich-Wieland, H. (2006). Reflexive Koedukation als zeitgemäße Bildung. In: Oelkers, H.U.; &Otto, J. (Ed.): Zeitgemässe Bildung (S. 261-274). München: Ernst Reinhardt Verlag.

[vii] Vgl. Deleted 2 (2015, n.d.). In: Why do women play in seperate leagues? [Comment]. Retrieved from

https://www.reddit.com/r/GlobalOffensive/comments/3d1gr9/why_do_women_play_in_separate_leagues/ct0xafj

[viii] Vergleiche z.B. Citizen, J. (2014, October 7). Pro-gaming team banned: Too good to be girls“ [News]. Retrieved from http://www.playerattack.co.uk/news/2014/10/07/pro-gaming-teambanned-too-good-to-be-girls/#ixzz3JiYRRD3T

[ix] Vergleiche z.B.  Calycae (2016, June 20): #1 Zariya player hackusation cleared by Blizzard Korea + Footage. [News Post]. Retrieved from https://www.reddit.com/r/Overwatch/comments/4ozx0o/1_zariya_player_hackusation_cleared_by_blizzard/

[x] Vergleiche z.B. TeemoShroom (2013, April 13): Sex and LoL [Comment]. Retrieved from http://www.reddit.com/r/leagueoflegends/comments/1c1ijh/sex_and_lol/

[xi] Vgl. Taylor, T.L. (2012). Raising the stakes. E-sports and the professionalization of computer gaming. Cambridge/Mass: MIT Press.

[xii] Vgl. auch Groen, M. &Schröder, A. (2014): Crowd-Control für die Gaming-Community – Formen der Begegnung mit unerwünschtem Verhalten in MMOGs. In: Kaminski, W. &Lorbeer, M. (Ed.): Spielwelt – Weltspiel. Narration, Interaktion und Kooperation im Computerspiel(S. 145-152).München:KopaedVerlag.

[xiii] Siehe http://www.anykey.org

[xiv] Eine ausführlichere Version dieses Artikels ist erschienen in: Groen, M. (2016): (Un)Doing Gender?: Female Tournaments in the E-Sports Scene. International Journal of Gaming and Computer-Mediated Simulations (IJGCMS), 8(4), S. 25-37. doi:10.4018/IJGCMS.2016100102

Maike Groen

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