Seit ihrer Entstehung ringen Computerspiele unentwegt um gesellschaftliche Anerkennung. Die Unsicherheit ob des Klischees vom stubenhockenden Nerd sitzt tief, zur Beruhigung werden von der Zielgruppe daher gerne die neuesten Schlagzeilen zur Popularität des Mediums zitiert. Spiele machen mehr Umsatz als Hollywood. Fast zwei Milliarden Menschen weltweit sind Gamer. Polit-Größen machen Wahlkampf auf der Gamescom und betonen dabei immer wieder: Spiele sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen!
Allein, ob Spiele in der Mitte der Gesellschaft auch wirklich gut aufgehoben sind, darüber wird in der Euphorie über die wachsende Akzeptanz des jungen Mediums kaum nachgedacht. Von politischer Vereinnahmung einmal ganz abgesehen, allein die Geschäftspraktiken der Branche bieten Grund zur Sorge: Während Spiele dank fragwürdiger free2play Modelle in ungeahnte, neue Märkte vordringen, grassieren in Entwicklerfirmen die selben Probleme wie in der gesamten Tech-Industrie: Missachtungen des Arbeitsrechts, kaum Jobsicherheit, Burnout als Firmenkultur, latenter Sexismus. In dem letzten Punkt haben sich Spiele sogar als gesellschaftlicher Vorreiter entpuppt, immerhin ist der antifeministische Backlash, der in der Gameskultur seit 2014 offen vor sich hin brodelt, spätestens mit dem US-Präsidentschaftswahlkampf zur zentralen politischen Debatte angeschwollen.
Sicher sind die Missstände in der Spieleindustrie kein Grund, das gesamte Medium zu verteufeln, aber sie sind doch eine wichtige Erinnerung daran, dass Wachstum allein keine Probleme löst. Probleme wie diese wachsen mit einer Branche mit, bis sie schließlich schier unlösbare Ausmaße erreichen. Gerade deshalb sollten wir als Spieler mehr von unserem Medium erwarten, als mit dem Rest der Gesellschaft gleichzuziehen: anstelle zu hoffen, dass ein rasanter Aufstieg die gesellschaftliche Wahrnehmung von Spielen verändert, wäre es wichtiger auf dem Weg nach oben jene Fehler zu vermeiden oder auszubügeln, die uns schon andere Industrien vorgemacht haben.
Ähnlich verhält es sich mit dem Siegeszug der Esports. Beinahe täglich erreichen uns neue Erfolgsmeldungen: DOTA 2 bricht mit Preisgeldern von über 24 Millionen Dollar bei seiner Weltmeisterschaft 2017 erneut Rekorde. Bundesliga-Vereine gründen League of Legends Teams und der Entwickler Riot Games verkauft Senderechte für 300 Millionen Dollar an die US-Baseball-Liga. Blizzard, die schon mit Starcraft, Hearthstone und Heroes of the Storm dick im Geschäft sind, locken mit ihrer neu-gegründeten Overwatch-Liga erneut finanzstarke Investoren an. Esports sind zum Massenphänomen geworden, das Millionen umsetzt und weltweit riesige Stadien füllt. Der Bildschirmsport ist auf dem besten Weg die Reichweite und Professionalität von Fußball, Basketball und Co. zu erreichen. Nur dürfte dadurch leider noch ein weiteres Element des Profisports Einzug in den virtuellen Wettkampf halten: die Korruption.
Schon jetzt haben Esports immer wieder mit Wettskandalen, Match-Absprachen und illegalem Glücksspiel zu kämpfen. So kommt es 2015 in der koreanischen Starcraft II Liga nach Manipulationsvorwürfen etwa zur Verhaftung und dem Ausschluss mehrerer Spieler. Vergangenes Jahr sorgten indes Online-Casinos für Waffenskins in Counter Strike: Global Offensive für Furore, als bekannt wurde, dass die Betreiber mehrerer solcher Seiten sich auf Youtube als normale Kunden ausgaben um dort ihrem minderjährigen Publikum die satten Gewinnchancen anzupreisen. Angesichts wachsender Zuschauerzahlen und Preisgelder dürften uns solche oder ähnliche Fälle in Zukunft noch öfter erwarten: Esports sind zu einem verlockenden Ziel geworden.
Besonders besorgniserregend ist die Tatsache, dass digitale Sportarten neue, ungeahnte Formen von Betrug ermöglichen. Wer ein Fußballspiel beeinflussen möchte, kann Spieler oder Schiedsrichter bestechen. Wer eine Partie Rocket League beeinflussen möchte, könnte dazu theoretisch sogar die Ballphysik manipulieren. Wie angreifbar aktuelle Titel tatsächlich sind, lässt sich als Außenstehender kaum beurteilen, eine gesunde Portion Skepsis scheint dennoch angebracht. Wenn Entwickler auf einen Fall von Manipulation aufmerksam werden sollten, würden sie tatsächlich von sich aus eine öffentliche Aufarbeitung anstreben? Immerhin ist der Markt hart umkämpft und ein Imageschaden durch Skandale könnte sie teuer zu stehen kommen.
Um Manipulationen auszuschließen und die Integrität des Wettstreits zu sicherzustellen bräuchte es unabhängige Kontrolle durch öffentliche Instanzen, allerdings sind Spielefirmen dank ihres Konkurrenzdenkens tendenziell geheimniskrämerisch und lassen sich nur ungern in die Karten blicken. Als etwa China unlängst Blizzard durch eine Verschärfung des Glücksspielgesetzes dazu zwingt offenzulegen, mit welcher Wahrscheinlichkeit seltene Gegenstände in ihren Lootboxen auftauchen, leistet der Entwickler zwar Folge, aber nur bis sich ein Schlupfloch findet: um sich dem neuen Gesetz zu entziehen zahlen Spieler künftig für ingame Ressourcen und bekommen Lootboxen “geschenkt” dazu. Wer weiß ob die publizierten Werte nach wie vor zutreffen, ob sie das überhaupt jemals getan haben oder ob sie gar von Tag zu Tag und Spieler zu Spieler angepasst werden?
Aber wieso eigentlich Gesetze umgehen, wenn man sie auch umschreiben kann? Ein Blick auf FIFA, den skandalgeplagten Dachverband des internationalen Fußballs, zeigt wie viel Luft nach oben Entwicklerfirmen hier noch bleibt. So wurde ein Alkoholverbot in Stadien, das Brasilien nach einer Serie von Todesfällen erlassen hatte, anlässlich der WM 2014 gekippt um den FIFA-Sponsor Budweiser zu beruhigen. Auch sonst schröpft die Organisation Staaten nach allen Regeln der Kunst: Um Austragungsort der Fußballweltmeisterschaft zu werden investieren Länder oft Milliarden, den Gewinn aber streicht FIFA ein und zahlt dabei als “gemeinnütziger Verein” dennoch kaum Steuern.
Bei der WM 2014 in Brasilien kommt es deshalb zu massiven Protesten als sich die Bevölkerung gegen den Bau teurer und weitgehend nutzloser Stadien wehrt. Auch für die kommende WM in Russland steht FIFA in Kritik, einzig überschattet von der Vergabe der WM 2022 an Katar, wo derzeit neue Stadien von Gastarbeitern gebaut werden, die wie Sklaven behandelt werden. Obwohl der Verband seit Jahren Gegenstand laufender Korruptionsermittlungen ist, fehlen konkrete Beweise für Bestechung beim Auswahlprozess. Nur welchen logischen Grund gäbe es sonst eine Sportveranstaltung in einem Land abzuhalten, in dem Temperaturen von bis zu 45 Grad herrschen?
Wenn uns die Schattenseiten des Spitzensports eines lehren, dann dass die Kombination aus enormem Einfluss und mangelnder Transparenz verheerend ist. Leider sind es genau jene Eigenschaften, die die Spielefirmen hinter den größten Multiplayer-Titeln auszeichnen. Von dem Ausmaß an Kontrolle, das Entwickler allerdings über Esports ausüben, kann selbst FIFA nur träumen. Wir reden hier immerhin von Firmen, die von der Organisation von Ligen über Senderechte und weite Teile des Merchandising bis hin zu den Regeln des Spiels selbst, beinahe jeden Aspekt der von ihnen geschaffenen Sportarten kontrollieren und das von der Profi-Ebene bis zum Hobbyverein. Selbst wer nur kurz eine Partie mit Freunden spielen will, bleibt an offizielle Server gebunden, solange es sie noch gibt. Wenn Esports also tatsächlich einmal die Größe von König Fußball erreichen sollten, könnten uns sogar noch schlimmere Zustände erwarten als wir sie aus traditionellen Sportarten kennen.
Durch die zunehmende Digitalisierung unserer Gesellschaft erleben wir derzeit die Privatisierung des Privaten. Da die Politik die Ausbreitung des öffentlichen Raumes in neue Medien verschlafen hat, sind weite Teile unseres vernetzten Lebens in die Hand privater Konzerne gefallen. Schon jetzt kontrolliert etwa mit Facebook ein Unternehmen große Teile unseres sozialen Kontakts und unseres Nachrichtenkonsums – mit kaum abzusehenden demokratiepolitischen Folgen. Falls sich der Trend hin zu Esports fortsetzt, könnten sich Massen- und Zuschauersport bald in einer ähnlichen Lage befinden. Die Frage, die sich hier nun für uns als Spieler stellt ist, ob wir Entwicklerfirmen für ihre Monopolstellung über unsere Freizeit zujubeln sollen, oder sie doch lieber in die Pflicht nehmen.
Die gesellschaftliche Anerkennung, die wir so sehnlichst anstreben, bringt nicht bloß Rechte mit sich, sondern auch Pflichten, wie die Pflicht Verantwortung für die sozialen Auswirkungen unseres Mediums zu übernehmen. Angesichts der möglichen Folgen für unser Zusammenleben, wäre es daher digitale Sportarten mit Millionen von Spielern der alleinigen Kontrolle ihrer Hersteller zu überlassen. Egal ob analog oder digital, Sport ist ein Allgemeingut und um die Fairness von Esports zu gewährleisten, um sie zugänglich zu machen und ihren Erhalt auf Dauer zu sichern wird es unabhängige Kontrolle durch öffentliche Instanzen brauchen.
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